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, Werner Gilgen

1983

Aus der Festschrift anlässlich 125 Jahre "Harmonie"

"In Freud und Leid - zum Spiel bereit"
Gedanken zur Bedeutung der Musik in unserer Zeit
 
Man gestatte mir, diese Betrachtung vorweg zu nehmen.
Die Frage sei erlaubt, welche Bedeutung dem Musikverein in der heutigen Gesellschaft noch zukommt?
Wie einfach ist es doch, sich durch Radio- und Kassettenmusik berieseln und durch Fernsehstudios unterhalten zu lassen!
So scheint es wenigstens oberflächlich betrachtet.
 
Unsere Musikanten haben seinerzeit dem Verein den Namen "Harmonie" zugelegt, eine Bezeichnung, die nur der Blasmusik zusteht.
Harmonie bedeutet im Sprachgebrauch "innere und äussere Übereinstimmung, Einklang und Eintracht".
Dies deutet auf tiefsinnige Grundlage. Damit sind wir schon mitten im Thema, das mir als Einleitung zu dieser Schrift würdig erscheint.
 
Der Mensch, als Einheit von Körper, Geist und Seele, hat mit diesen drei "Dimensionen" nicht nur Hunger nach körperlicher Nahrung; nicht weniger braucht er solche für die Geist-Seele-Verbindung, will er sie nicht verkümmern lassen.
Eine der Möglichkeiten ist die Zuflucht zur Musik. Sie hat wesentlichen Anteil an unserem kulturellen Leben. Sie vermag unser Gemütsleben, der von aussen wahrnehmbare Ausdruck von Geist und Seele, zu nähren und zu beeinflussen.
Musik wirkt ausgleichend, sie harmonisiert. Dies ist notwendig, was wäre wohl aus unserem Land geworden, hätte man einseitig nur die körperliche Bildung gefördert, wie gewisse Sportnationen in verschiedenen Sportarten es heute noch tun?
Wir wären ein Volk von Schlägern geblieben! Zu lange hat man die zivilisatorischen Errungenschaften verherrlicht und die kulturellen Belange vernachlässigt oder gar belächelt.
 
Je nach Veranlagung und Auswahl kann Musik uns stimulieren, beruhigen oder auch besinnlich, ja sogar aggressiv stimmen.
Entsprechend wurde sie von jeher zielgerichtet eingesetzt und auch missbraucht. Die patriotische Begleitmusik an Nationalfeiertagen, bei kriegerischen Ereignissen, - aber auch die Trommler und Pfeifer in den vordersten Linien angreifender Truppen sind Beispiele hierfür.
Musik ist ein modernes massenpsychologisches Führungsmittel geworden, dies darf nicht übersehen werden.
 
Musik schafft Brücken zum Mitmenschen und mildert Gegensätze. Sie ermöglicht Freundschaften.
Wie E. T. A. Hoffmann sagte: "Wo die Sprache nicht weiter weiss, kann die Musik weiterhelfen".
Dies ist ein dringendes Gebot unserer Zeit. Wer weiss, ob nicht eines Tages unter dem Atom-Patt die milde Sprache der Musik, gleich einer dargebotenen Hand und eines Stückes Brotes, stärker sein wird als die Bomben?
So wird Musik gerade für unser uneinheitliches Volk aus staatspolitischen Gründen zur Notwendigkeit!
 
Der erzieherische Wert darf ebensowenig übersehen werden. Die musikalische Schulung verlangt Körperbeherrschung und Disziplin.
Der Musikverein vermittelt dazu noch das Einordnen im grösseren Verband: der Einklang ist wichtiger als die Lautstärke!
So wird der Verein zur Schule der Kameradschaft und der Toleranz, alles Elemente, auf welchen unsere demokratische Gesinnung und unser Staat beruht.
 
Die Hektik unserer Zeit geht nicht spurlos am Menschen vorbei.
Umso wichtiger wird die Erholungszone. In seiner Buchhaltung der Kräfte kann er nicht mehr ausgeben, als er einnimmt. Gleich der Schifffahrt braucht er Heimathäfen, wo er ankern und tanken kann.
Ein solcher Hafen kann ihm die Musik werden, wenn er den Lotsen dazu findet. Im Musikverein ist er zu finden.
Der junge Mensch wird hier auch den Weg zu sich selber finden, denn selber musizieren wirkt schöpferisch. Keine Kassette kann solches ersetzen!
 
Die Jugend von heute hat es nicht leicht. Es ist schwierig, in dem Überangebot von Informationen aller Art, gleich einem grossen Güterbahnhof mit vielen Geleisen und Weichen, den richtigen Weg zu erkennen.
Wie schwer ist es doch geworden, nicht nur für die Jungen, die wahren Werte zu erkennen, das Unwesentliche vom Wesentlichen zu scheiden.
Hier kann der Musikverein mitführend helfen.
Die Jubilarin hat diesbezüglich mit der Gründung der Jugendmusik einen bedeutenden Schritt getan. Es ist eine aktive Anteilnahme und Mithilfe an schweren Problemen unserer Zeit.
 
Die alte Vereinsfahne von 1922 trägt fein säuberlich eingestickt den Leitspruch der Gründergeneration: "In Freud und Leid - zum Spiel bereit". 
Das ausgediente Banner wird treu und in Ehren im Kasten des Vereinslokals aufbewahrt.
Hoffen wir, dass der Sinn des Leitmotivs nie verblassen wird.
 
125 Jahre Musikgesellschaft "Harmonie" Schwarzenburg - wieviel Freud und Leid mögen sie beinhalten - und doch, wie notwendig ist ihr Weiterbestand, heute und auch morgen!
 
Werner Gilgen
OK- Mitglied